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Interkulturelle Stereotype – Geht’s denn ohne?

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Es gibt Begriffe, die für viele von uns einen gewissen negativen „Touch“ haben. Der Begriff „Stereotyp“ ist einer dieser ungeliebten Gesellen, schließlich steht er für die Vereinfachung komplexer Eigenschaften oder Verhaltensweisen von Personengruppen und ist damit zweifelsohne verwandt mit dem Klischee oder dem guten alten Vorurteil.

Dabei begegnen sie uns allerorten und bringen uns sogar zum Lachen:

//www.youtube.com/watch?v=ZAJNFoHuLno

Auch unter Interkulturalisten gehört es zum guten Ton, Stereotype abzulehnen und zu verteufeln. Dementsprechend werden von den Experten der Einsatz von stereotypisierenden Methoden und Modellen abgelehnt. Vordergründig geht es darum, in einem interkulturellen Seminar nichts zu tun, was Stereotype bei den Teilnehmern „verfestigt“.

Nun gehört es jedoch gerade zum Wesen von Modellen zu vereinfachen, also stereotypisierend zu sein. Es ergibt sich also die eigenartige Situation, dass Stereotype verteufelt werden, gleichzeitig – ich denke, aus Ermangelung anderer möglicher Herangehensweisen – in Trainings aber oft mit Modellen gearbeitet wird. Kulturstandards und Kulturdimensionen sein hier nur beispielhaft genannt.

Lassen Sie mich dem Begriff eine neue Deutung zuschreiben, um das beschriebene Dilemma aufzulösen.

Wir wissen, dass der Mensch nicht nur immer Stereotype bildet, sondern diese sogar konstituierend für ihn sind. Denn obwohl diese vereinfachten Eindrücke und Darstellungen eine starke Reduzierung der Realität mit sich bringen, brauchen wir sie, um in dieser hochkomplexen Welt überhaupt existieren zu können. Ohne die Fähigkeit zu stereotypisieren, wären wir gar nicht in der Lage, mit den vielfältigen Einflüssen, die auf uns einströmen, zu leben.

Stereotype helfen uns also, Situationen schnell einzuschätzen – in Feldern in denen wir es zu einem gewissen Expertenstatus gebracht haben, sind gerade sie es, die uns mit wenigen Informationen zu Entschlüssen und Entscheidungen kommen lassen.

Dass sie uns dabei auch aufs Glatteis führen können, ist bekannt, führt jedoch auch nicht dazu, dass wir in anderen Kontexten um die „Abschaffung“ von Stereotypen bemüht sind. Nur im kulturbeschreibenden Bereich scheinen sie verpönt zu sein.

Erst kürzlich sprach ich mit einer Kollegin über eine Methode, die in interkulturellen Trainings eingesetzt werden kann. Dabei fiel irgendwann folgender Satz: „Und so gelingt es uns hoffentlich, dass die Teilnehmer weniger Stereotype haben.“

Nachdem wir uns im Vorfeld über die Notwendigkeit von Stereotype unterhalten hatten, musste uns dieser Satz natürlich innehalten lassen. Wir sahen uns an, und die Kollegin korrigierte den Satz, indem sie sagte: „Besser gesagt: Und so gelingt es uns hoffentlich, die Vielfalt der Stereotypen für die Teilnehmer zu erhöhen.“

Das wiederum brachte für mich die Auflösung eines jahrelangen Dilemmas mit sich. Es kann nicht unser Ziel sein, die Teilnehmer dazu zu bringen, keine Stereotype zu haben. Es kann auch nicht unser Ziel sein, dass die Teilnehmer weniger Stereotype haben.

Um es auf den Punkt zu bringen: Ganz ohne Stereotype wäre wohl gar kein Funktionieren in dieser Welt möglich. Und weniger Stereotype würden die oben schon angesprochenen fehlerhaften Einschätzungen von Situationen gar erhöhen.

Einziges Ziel kann also nur sein, etwas ganz anderes zu erhöhen: nämlich die Anzahl der zur Verfügung stehenden Stereotype! Je größer diese Anzahl nämlich ist, desto näher kommt das Ergebnis einer immer differenzierteren Betrachtung von Situationen. Und insofern sind alle Methoden hilfreich, die eine Erhöhung von Stereotypen ermöglichen.

Als abschließende Bemerkung möchte ich noch einmal explizit darauf aufmerksam machen, dass ich nicht von Vorurteilen spreche. Vorurteile haben im Gegensatz zu Stereotypen nämlich die Eigenschaft, den Abgleich mit der Wirklichkeit – was immer das auch ist – zu blockieren. Stereotype hingegen bleiben dafür offen und geben so die Möglichkeit zur Differenzierung und Analyse von Einzelsituationen.

Was denken Sie darüber? Auf Ihre Ideen und Gedanken dazu sind wir gespannt. Bitte nutzen Sie fleißig die Kommentarfunktion. :)

Mit freundlichen Grüßen

Steffen Henkel & Johannes Klemeyer


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