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Über den Sinn und Unsinn von Kulturstandards und Kulturdimensionen

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word cloud "Kulturstandards"

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Wer im interkulturellen Betrieb unterwegs ist, dem wird ein Widerspruch in dem sich die Szene befindet, nicht entgehen: Leidenschaftlich werden Kulturstandards und Kulturdimensionen für Trainings und Seminare zur Verbesserung interkultureller Zusammenarbeit, abgelehnt und als stereotypisierend diskreditiert.

Gleichzeitig werden sie in vielen Trainings eingesetzt und als Erklärungsmodelle herangezogen. Es passiert nicht selten, dass man ablehnende Worte über diese Erklärungsmodelle hört, nur um kurz danach von der gleichen Person einen Kulturstandard als Erklärungsangebot für bestimmte Unterschiede genannt zu bekommen.

Das übliche Argument gegen Kulturstandards und -dimensionen – ich möchte sie im weiteren Verlauf Kulturkategorie nennen – ist, dass sie eher die Bildung von Stereotypen fördern als beim Abbau derselben helfen.

Ich möchte in diesem Artikel meine Einschätzung zum Sinn und Unsinn von Kulturkategorien weiter geben.

Kulturkategorien sind stereotypisierende Beschreibungen von Menschengruppen. Da sie – wie im vorherigen Artikel beschrieben – zur erwünschten Erhöhung der Vielfalt von Stereotypen beitragen, halte ich sie also per se einmal für hilfreich. Allerdings entsteht die Hilfe an einer anderen Stelle als man dies vielleicht erwarten möchte:

Kulturkategorien helfen dabei, Eigenschaften von größeren Gruppen von Menschen zu beschreiben. Allerdings ist es kaum besonders sinnvoll, etwa „die Chinesen“ zu beschreiben oder auch „die Deutschen“.

In der Interaktion hat man es nämlich zumeist mit einem „Jemand“, einem konkreten Gegenüber, also einer Einzelperson zu tun. Und diese wird – selbst wenn sie Chinese ist oder Deutsche – durch die generalisierende Kulturkategorie nur sehr unzureichend beschrieben. Oder sagen wir, es wäre schon Zufall, dass die angelernte Kulturkategorie auch adäquat einen einzelnen Chinesen oder Deutschen beschreibt.

Jedoch erfüllen Kulturkategorien eine andere Aufgabe: Sie liefern Worte für Beschreibungen. Um dies zu erläutern, ein kurzes Erlebnis: Ein Kollege von mir erzählt mir neulich einen Ausschnitt seiner Lebensgeschichte. Er berichtete, wie er in einem mitteleuropäischen Land aufwuchs, sich an den dortigen Umsturzbewegungen zum Ende der kommunistischen Regime beteiligte und dann nach Großbritannien ging. Dort arbeitete er und machte eine Ausbildung. In dem Wunsch, mehr von der Welt kennen zu lernen, heuerte er auf einem Kreuzfahrtschiff an und arbeitete dort eine Reihe von Jahren. Er kam hier mit vielen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen zusammen. Sein feines Gespür führte dazu, dass er bald zu einer Art Mittler zwischen den Menschen wurde.

Noch keine 30 beschloss er, in die USA auszuwandern und ein Masterstudium zu beginnen. Eine der ersten Vorlesungen hatte den Titel „Cross Cultural Communication“. Er berichtete mir, dass er mit einiger Arroganz in dieses Seminar ging. Wer sollte ausgerechnet ihm noch etwas zu diesem Thema erzählen können?

Und nun wurde er überrascht und hatte ein gerade zu erweckendes Erlebnis: Es wurden Modelle geliefert sowie Kulturstandards und -dimensionen gelehrt. Er selbst beschrieb, dass auf einmal „all das Unsagbare sagbar gemacht wurde“. Er konnte auf einmal über das, was er die Jahre davor erlebt hatte, ganz neu reflektieren, Worte finden, Aussagen machen, beschreiben…

Genau hier verbirgt sich meiner Ansicht nach der gewaltige Nutzen, den uns die Terminologie der Kulturkategorien bringt: Wir können beschreiben was wir erleben. Erst dadurch können wir durch Reflexion die Erlebnisse aufarbeiten und angemessene Reaktionen und Handlungsalternativen erarbeiten. Dabei spielt übrigens der kulturelle Hintergrund der Person, die ich beschreiben möchte, nur eine untergeordnete Rolle.

Durch Kulturstandards und -dimensionen besteht erstmals die Möglichkeit, über bestimmte Kategorien nachzudenken, die ich – gerade aufgrund ihrer Kulturgebundenheit – nie wahrgenommen hätte.

Der kulturelle Aspekt der Standards und Dimensionen kann mir dabei antizipierend hilfreich sein. Jedoch ist dies – wie wir inzwischen alle wissen – mit einer gewissen Vorsicht zu genießen.

Was denken Sie über diesen Denkansatz? Ich bin gespannt darauf, viele Kommentare von Ihnen zu lesen.

Viele Grüße

Steffen Henkel


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